Figurenfeld A. Wünsche-Mitterecker

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Figurenfeld Eichstätt

In einem abseits gelegenen, kleinen Seitental, dem sogenannten Hessental bei Eichstätt steht ein umfangreiches bildhauerisches Werk: 78 meist weit überlebensgroße Figuren, die der Bildhauer und Maler Alois Wünsche-Mitterecker als Mahnmal gegen Krieg und Gewalt entworfen hat. Das Figurenfeld war von Anfang an für diesen Standort bestimmt. Gerade die eigentümlich karge Juralandschaft besitzt mit ihren von dichtem Heidegras bedeckten Hügeln und Mulden, auf denen nur vereinzelt Hecken und Wacholderbüsche wachsen, eine große Bedeutung für Aussehen und Wirkung der gesamten Anlage. Ursprünglich sollte sie nur über einen schmalen Feldweg vom Altmühltal her betreten werden. Nach dem Bau der Jura-Hochstraße Eichstätt - Kinding besteht nun ein zweiter und weitaus näherer Zugang von dieser Straße her.
Der von dieser Jura-Hochstraße her kommende Betrachter, gewahrt zunächst zwei Figuren, die wie mächtige gerippte Schutzschilde aussehen. Bei kurzem Umblicken sieht er auf den nächstgelegenen Hügeln noch weitere Figuren, die wie Zeichen frei in den Himmel ragen und gleich Grenzsteinen die Ausmaße des unmittelbar sichtbaren Geländes bestimmen. So erkennt er: Ein über 5 Meter hohes, säulenförmig geschlossenes Gebilde, das aus übereinandergeschichteten Würfeln, teilweise auch aus konvexen und konkaven Formen zusammenverschmolzen erscheint; dann - jenseits der Straße - eine massige, auf vier breiten Stützen stehende Form, die von einem zum Himmel weisenden, halbmondförmigen Gebilde bekrönt wird. Dem Süden zu wird auf einem Hügel ein auszahlreichen Würfeln, Rechtecken und Röhren zusammengesetzte Figur sichtbar; schließlich in einer flachen Niederung - der langgezogenen Hecke angelehnt - eine mächtige, flaschenförmig aufragende Gestalt.
Etwa in der Mitte dieser weit auseinanderliegenden Zeichen steht an der Kante des Hanges eine kleinere Form, die aus der Ferne wie ein behelmter Wachtposten wirkt. Von dort aus überblickt man eine Mulde, die auf halber Höhe in den Hang gebettet ist, ehe dieser vollends in die Tiefe des Hessentals abfällt.
Der erste Blick in diese Mulde überrascht. Während oben auf der weiten Albfläche die Figuren vereinzelt und weit auseinanderliegend als stumme Zeichen stehen, füllen sie unten dichtgedrängt und von Hang zu Hang die gesamte Mulde. Man erblickt ein Geschehen: Kämpfende, meist weit überlebensgroße Gestalten; sie erheben sich, bäumen sich auf, schleppen sich hin; sie kauern, fallen, kriechen und liegen hingestreckt am Boden - es ist wie auf einem Schlachtfeld.
Ungeschlacht und bedrohlich sind auch die Formen. Bei längerem Hinsehen erkennt man schon von der Höhe, daß selbst die noch aufrechten Gestalten sich nur mühsam und wie vor dem endgültigen Fall erheben; daß sie nur ein letztes Aufbäumen zwischen Stürzen und Liegen zum Ausdruck bringen. - Steigt man den Hang hinab und mischt sich unter diese Figuren, so wird man inmitten dieser drohend bewegten Massen zuerst von einer gewissen Beklommenheit ergriffen.Es gibt keinen zentralen Punkt, von dem aus das Geschehen allein zu erfassen ist, man muß länger umhergehen, um das Ganze, aber auch die Bewegung und Aussage der einzelnen Figuren verstehen zu können.Unterschiedlich sind die Formen. Einige Figuren lassen sich leicht als Kämpfer erkennen: So stürzt dem sich Aufbäumenden ein anderer entgegen; gegeneinander aufgestellte Gestalten holen in taumelnder Bewegung zu Schägen aus, die ins Leere gehen; andere kriechen den Hang hinauf, als versuchten sie, aus der Schlacht zu entrinnen; oder es kauert einer ganz isoliert in sich zusammen. Die menschenähnlichen Gestalten zeigen entstellte Gesichter, herausquellende Augen; die Glieder sind verzerrt, die Körper ausgemergelt und nur aus Knochen und Gelenken bestehend. Teilweise sind auch die Körper von schwer hängenden, wie 'gefroren' wirkenden Gewandteilen bedeckt. Zwischen diesen Figurationen liegen und stehen aber auch ganz anorganische Formen wie zerfetzte Maschinenteile, Granaten oder anderes Kriegsgerät. Hinzu kommen tierähnliche Gebilde.
Bald wird dem, der unter diesen Figuren umherirrt, klar, daß es auf diesem Schlachtfeld keine Sieger und Besiegten gibt. Weder lassen sich Parteien und Richtungen unterscheiden, noch wird ein gegensätzliches Kampfgeschehen sichtbar - die Figuren bleiben isoliert; die Bewegungen gehen ins Leere. Chaos, sinnloses Fal1en, Sterben und Zerstören - so ist der Eindruck.
Etwas entfernt von diesen bewegten, nur nach längerem Hinsehen erfaßbaren Formen stehen nahe am Hang drei mächtige, stelenförmige Male. Auf ihnen sind in Relief menschliche Gestalten dargestellt, die - mühsam aufrecht - Arme und Hände beschwörend erheben: es sind Gefangene. Der Bildhauer hat sie bewußt im Gegensatz zu den übrigen Figuren des Feldes gestaltet. Die ausgemergelten, zum Teil verstümmelten Leiber wirken 'gefangen'; sie werden in den massigen Stelenkörpern festgehalten. Diese drei wuchtigen, vertikalen Male konzentrieren das in die Landschaft ausgreifende, in seinen Formen gegen- und auseinanderstrebende Figurenfeld und üben damit eine sammelnde Wirkung aus; dies nicht nur äußerlich, sondern wesentlich: Die Gefangenen verkörpern mit ihrem Gestus nicht nur Ergebung und nicht allein das Ende der Schlacht; ihre Haltung hat etwas Beschwörendes und wird zum inständigen Anruf, dem Kampf und der Vernichtung ein Ende zu machen. Die drei Gefangenenstelen verdeutlichen, daß dieses Figurenfeld keine bloße Vergegenwärtigung des Schrecklichen ist, sondern Mahnung vor gewalttätiger Auseinandersetzung darstellen soll.
Vergleicht man die gesamte Anlage mit den zahlreichen Gedenkstätten und Mahnmälern, die nach den beiden Kriegen vielerorts entstanden sind, dann wird erst klar, wie ungewöhnlich dieses Werk und auch unter welch unüblichen Voraussetzungen es entstanden ist. So ist die Lage des Figurenfeldes nicht durch ein historisches Geschehen bestimmt. Das kleine Tal und die nähere Umgebung haben ebensowenig den Krieg gesehen, wie das nahe gelegene Eichstätt. Auch befindet sich dort kein Soldatenfriedhof. Der Bildhauer wählte der Platz der natürlichen Gegebenheiten wegen, die ihm als die allein richtigen für diese Anlage schienen und die auch jetzt die Wirkung des Werkes wesentlich mitbestimmen.
Das Figurenfeld ist auch nicht im offiziellen Auftrag einer Gemeinde, einer religiösen oder politischer Gruppierung entstanden. Es wurde aus eigenem Antrieb des Bildhauers geschaffen; die Verwirklichung war nur unter großen Opfern eines kleinen Freundeskreises, den der Künstler für seine Idee gewinnen konnte, möglich (Kuratorium Mahnmal e. V.). Auf diese Weise blieb der Bildhauer in seinem Schaffen völlig frei und sah sich allein von seiner Idee geleitet, die sich unter dem Eindruck des letzten Krieges gebildet hatte. Wenn auch in der Gestaltung des Werkes viele der verwendeten Formen an Materialien des II. Weltkrieges erinnern, so dürfen solche Anklänge nicht als naturalistische Erklärungen verstanden werden. Dem Künstler ging es um die Darstellung des Schreckens von Krieg und Gewalt. So hat er die körperlichen und technischen Elemente moderner gewalttätiger Auseinandersetzungen in künstlerische Gesten umgesetzt. Er vermeidet die Gefahr einer bloßen, platten Wiedergabe. Da er das Menschliche nur andeutet, gibt er dem Schrecken und dem Leid etwas Allgemeines und Namenloses. Die ganze Menschheit ist das Opfer; Sieger und Besiegte gibt es nicht mehr. Kampf und Krieg sind völlig sinnlos und zur nackten Furchtbarkeit geworden.
Diese Idee und ihre künstlerische Umsetzung stieß anfangs auf heftige Kritik. Zahlreiche Widerstände hemmten die Ausführung des Projektes. So hat der Bildhauer die Vollendung des Werkes, an dem er über 20 Jahre arbeitete selbst nicht mehr erlebt; ein Teil der Figuren wurde erst nach seinem Tode (Dezember1975) in den Jahren 1976-1979 nach seinen Plänen aufgestellt.
Wichtig für die Gestaltung des Werkes ist auch die Wahl des Materials. Hier wird kein Naturstein und kein Metallguß verwendet. Die pathetische Denkmalbronze hätte dem Werk zuviel Feierlichkeit verliehen und sich auch in die Landschaft nur schlecht einbinden lassen. Der Bildhauer wählte daher ein weniger wertvolles, aber sehr widerstandsfähiges Material: die Figuren sind voll gegossen aus einer Mischung von Portlandzement mit Granit- und Basaltkörnern. Der 'felsartige' Charakter seiner Figuren wurde dem Bildhauer aber nicht erst nach dem Guß sichtbar, sordern stand ihm schon im Werkvorgang vor Augen. Die Figuren wurden nämlich - über einem Gerüst - in blaugrauem Ton geformt.


Form Form

Dann wurden von diesen, schon in endgültiger Größe ausgeführten Modellen Negativteilformen aus Gips abgenommen. Diese Gipsformen wurden später zusammengebaut und mit der oben beschriebenen Zement- und Basaltmischung ausgegossen. Es versteht sich dabei von selbst, daß die Figuren innen mit verzinktem Eisen armiert sind und daß sie Einzelstücke darstellen; denn die Formen können nur einmal ausgegossen werden; da sie beim Herauslösen des Gußstückes weggeschlagen wurden. Als Werkstatt diente dem Bildhauer die ehemalige Reithalle auf der Willibaldsburg von Eichstätt. Dort wurden auch die Figuren ausgegossen, gelagert und dann auf Lastwagen zu ihrem endgültigen Standort verbracht, wo sie mit Kränen auf in Frosttiefe versenkte Sockel versetzt wurden. Manche Figuren haben ein Gewicht von mehr als 6 Tonnen. Der Durchschnitt liegt bei 3,5 Tonnen. Die in drei Blöcken am Ort gegossenen 'Gefangenen' wiegen je 18 Tonnen.
Eine vollkommene Einbindung dieser beträchtlichen Massen in die Natur war ein Hauptanliegen des Künstlers und ist auch ein Kennzeichen des Figurenfeldes. Das zeigt sich in der Wahl und in der Tönung des Materials: zur unterschiedlichen Färbung der einzelner Figurationen wurde der Gußmischung häufig Oxydrot beigegeben, so daß die Farbskala von Schwarz, Blaugrau, Braun bis zu einem gedeckten dunklen Rot reicht. Auf der robusten, grobporigen Oberfläche hat sich - ähnlich wie beim ringsum anstehenden Felsgestein - zum Teil durch Flechtenbildung und Bemoosung schon heute jene Patina eingestellt, die im Laufe der Jahre die Einbindung des Werkes in die Natur noch vervollkommnen soll.
Noch auffälliger zeigt sich dieses Bestreben in der Art der Aufstellung: Nicht wie übliche Denkmäler stehen diese Figuren erhöht, sondern sie liegen in einer Mulde eingebettet. Selbst in der Art, wie einzelne Figuren gelagert sind, glaubt man ein Anpassen an den Rhythmus der Landschaft zu erkennen. Teilweise sind die Figuren so an der Hang gelegt, daß sie aus größerer Entfernung gar nicht leicht von den in einzelnen Stauden den Hang hinaufwachsenden Wacholderbäumen zu scheiden sind. Indem das Werk nicht im Gegensatz zu der hier noch unberührten Natur steht, wird die Natur zur Aussage herangezogen und verstärkt die Wirkung des Ganzen. Man muß das Figurenfeld bei unwirtlichem Wetter, in der Nebeltrübe, im Schneegestöber, an verhangenen Tagen oder in der Dämmerung aufsuchen, um zu erfahren, wie sehr die lebendige Natur seine Wirkung verstärkt.
Zwar wählte der Bildhauer die Landschaft um Eichstätt, da er hier lebte. Da jedoch nicht eine topographisch-historische Situaton, sondern ganz allgemein die Natur den Ort bestimmt hat, wäre sein Werk auch an jedem anderen Ort und selbst in anderen Ländern denkbar, wenn dort nur die Umstände dem Figurenfelde ebenso entsprechen würden ,wie an dieser Stelle. Um das Grauen und den Wahnsinn des Krieges sichtbar zu machen, stellte er die Darstellung der sich bedrohenden, vernichtenden und zugleich geängstigten menschlichen Kreatur mitten in die gewaltige, fühllose Natur. Erst hier offenbart sich die Hinfälligkeit des Menschen und all seiner gewalttätigen Bestrebungen. So verstand Wünsche-Mitterecker das Werk als Mahnmal gegen Krieg und Gewalt und als Denkmal der Erinnerung an ihre Opfer - ohne Rücksicht auf nationale Unterschiede.

Der Text wurde aus GROSSE BAUDENKMÄLER HEFT 324 (2.Auflage) übernommen

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